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Sonntag, 20. Mai 2007
Der Aufstieg
Nur wer das Ziel kennt, kann den Weg wissen. Dem Assistenzarzt muß klar sein, welche Position er in absehbarer Zukunft anstreben möchte. Legt er lediglich Wert auf eine Niederlassung, vielleicht noch in einen konservativen Fach, so ist falscher Ehrgeiz in der Wissenschaft oder der Lehre nur fehlinvestierte Zeit. Besser ist es, außerhalb der regulären Dienstzeiten nützliche Zusatzkurse zu absolvieren und Kontakte zu niedergelassenen Fachkollegen vor Ort zu halten. Beste Gelegenheiten sind hierzu Praxisvertetungen in denen der zwar Arzt aber noch nicht Facharzt eigenständig schon einmal die Realität des Deutschen Gesundheitssystems in der Praxis ausloten kann. Als Nebeneffekt lassen sich hier mehrere hundert Euro Honorar pro Tag zusätzlich zum laufenden Gehalt verdienen. Die Klinikchefs unterstützen diese Vertretungen, da sie den Kontakt zu den zuweisenden Kollegen aufrechterhalten und vertiefen. Da Praxisvertretungen meistens in den typischen Urlaubszeiten anfallen, müssen die Abwesendheiten der Kollegen von den sowieso dann knappen anderen Ärzten zusätzlich kompensiert werden. Die oft sehr spontanen Vertretungen wirken sich natürlich besonders negativ auf jene Kollegen aus, die eine wissenschaftliche Karriere anstreben, da Sie zwar durch Kompensation der Abwesendheiten anderer zur Mehrarbeit gezwungen werden, für sich jedoch nie die lukrative Praxisvertretung wahrnehmen werden.
Problematisch bleibt für jene Kollegen deren Niederlassung nach dem Erwerb des Facharztes offensichtlich ist, die Erlangung begehrter, da knapper Ressourcen der Ausbildung, wie die Erlernung bestimmter diagnostischer oder interventioneller Verfahren oder das Durchführen wesentlicher Operationen. In der Regel wird die Klinik bemüht sein, diese Tätigkeiten vornehmlich von längerfristig, also auch über den Facharzt hinaus, an das Haus gebundenen Ärzten durchführen zu lassen. Kommen neben der klar erkennbaren Absicht zur Niederlassung noch andere Faktoren, wie persönliche Abneigung der Entscheidungsträger, typischerweise des Leitenden Oberarztes, hinzu, können die Ausgangsvoraussetzungen für eine reale Durchführung der zur Facharztreife notwendigen Verfahren oder Rotationszeiten auf der Intensivstation etc. schon einmal kritisch werden. Andererseits möchte man aber gerade diese Kollegen nicht allzu lange an die Klinik binden, so daß hier Kompromisse in der realen Ausbildung oder auf dem Papier gefunden werden müssen. Die Schlüsselposition in diesem Verfahren liegt zumeist nicht bei dem am Tagesgeschäft nur funktionierend interessierten Chefarzt sondern bei dem in der pyramidalen Hierarchie direkt nachfolgenden Leitenden Oberarzt. Dieser ist für die Personalplanung und die Verteilung von Ressourcen zuständig und nutzt seine Position natürlich zur Erlangung persönlicher Vorteile. Hier läßt sich dann auch der kluge aber an Wissenschaft vielleicht nicht sonderlich interessierte Assistent zur Erzielung einer förderlichen Beziehung zur Zuarbeit bei der Gestaltung und Auswertung von Studien bis hin zur vollständigen Verfassung wissenschaftlicher Arbeiten (dann allerdings nicht unter seinen Namen als Erstautor) gewinnen. Manu manus lavat ist in einer auf sehr direkter Abhängigkeit gegründeten Arbeits- und Ausbildungsumgebung ein gängiger Begriff. Wird dieses Verhalten zwar auch schnell von den weiteren Ärzten und nichtärztlichen Mitarbeitern durchschaut, so ist es doch von nicht angreifbarer Stringenz. Die Wahrscheinlichkeit auf dem Rotations- oder OP-Plan eine attraktive Position oder einen attraktiven Eingriff zugesprochen zu erhalten steigt natürlich mit der Nähe zum Gestalter desselben. Jeden neuen Assistenten in der Klinik wird deshalb schnell klar, daß diskussionsfreudiges Verhalten, insbesondere mit gegensätzlichen Positionen zu den Entscheidungsträgern, den eigenen Fortkommen nicht dienlich ist.
Andererseits können auch jene Assistenten, die bis zum Facharzt in der Klinikhierarchie wenig beliebt waren, erstaunt einen 180°-Wechsel dieser Position bei der Ankündigung der baldigen Niederlassung im Einzugsbereich der Klinik feststellen.
Sollte die Situation allerdings eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses schon während der Ausbildung mehr als erträglich erschweren, so ist die Lage verfahren. Ein nicht durch Fachwechsel oder durch Bewerbung an eine höhereingestufte Klinik (für Assistenten an einer Universitätsklinik kein möglicher Grund) begründeter Wechselwunsch ist meist nicht realisierbar. Der neue Chef in spe würde sofort im alten Haus anrufen und dann nicht nur den Bewerber ablehnen sondern zudem die sowieso schon ungünstige Position desselben weiter erschweren. Eine Kündigung innerhalb der Facharztausbildung wird vom Chefarzt trotz Abschaffung der Leibeigenschaft in der Regel als Verrat und Sakrileg betrachtet. Hier hilft nur der bewährte Spruch aller Assistenten: „Klappe halten“. Da im Übrigen auch nach Abschluss der Facharztausbildung und Eintritt in die Niederlassung hin und wieder Bescheinigungen über dies und jenes vom alten Chef notwendig werden, empfiehlt es sich das emotionale Verhältnis auch am letzten Arbeitstag auf einer rationalen Basis beizubehalten. Die Zahl der Assistenten die Ihren Dienstfunker mit einen sehr vernehmlichen „Ich hab’ die Schnauze voll, ihr könnt mich `mal“ im Chefsekretariat abgeben, hält sich in engen Grenzen.
Schwierig wird dies, wenn das Fach zwingend einen Stellenwechsel erfordert, da z.B. für die Erlangung des Facharztes eine gewisse Zeit in einen anderen Fach notwendig ist. Hier gibt es entweder die Option diese Fremdzeit ganz zu Beginn der Karriere zu absolvieren und in der dortigen Klinik steif und fest zu behaupten man wolle ja nichts anderes machen als definitiv dort bis an das Ende aller Tage tätig zu sein, oder auf eine Stellenrotation zu einen späteren Zeitpunkt zu hoffen. Diese ist im Idealfall von der jeweiligen Klinik organisiert, was aber selten ist, da dies Kooperation über Abteilungen hinweg voraussetzt, die in der Hochschulmedizin mit ihrer oft manischen Abgrenzung nur selten vorkommt. Ziel ist es ja langfristig Mitarbeiter ohne Unterbrechung an sich zu binden. Bleibt dann nur die eigenständige Bewerbung andernorts die aber als Illoyalität aufgefasst werden kann und damit den eventuell notwendigen Weg zurück unmöglich macht.
Plant der Assistent nun eine langfristige Karriere in der Klinik, wird die Sache ungleich schwieriger. Der reguläre Aufstieg in der Diensthierarchie beginnt mit dem Titel des Oberarztes, gefolgt vom Leitenden Oberarzt und letztlich dem Chefarzttitel. Dazwischen gibt es eine Reihe von Abstufungen. Auf Assistentenebene kann dies z.B. der Titel eines „Stationsarztes“ sein. Ich kenne Fälle, in denen diese Position aus Gründen der Disziplinierung oder eines extremen „Beförderungsstaus“ sogar mit Professoren besetzt war.
Die Zahl der Oberärzte ist in der Regel begrenzt, da zum einen das Verhältnis Häuptlinge zu Indianern nicht beliebig expandierbar ist und zum anderen finanzielle Fakten, wie der zur Verfügung stehende Pool aus Mitarbeiterabgaben des Chefarztes eine Limitation des berechtigten Personenkreises aus Sicht der Oberärzte notwendig macht. Zusätzlich ist im neuen Tarifsystem tatsächlich auch eine Stelle hierfür notwendig. Da aber andererseits Urlaub und die sonstige Abwesendheiten der Oberärzte wie Kongresse, Fortbildungen, Wissenschaft etc. zur bequemen Aufrechterhaltung der Klinikfunktionen einen gewissen Mitarbeiterstab in übergeordneter Funktion notwendig machen, wird vielerorts der Funktionsoberarzt eingeführt. Letztlich ein Facharzt aus der Reihe der Assistenzärzte, der Oberarztätigkeiten, wie z.B. entsprechende Dienste versieht, jedoch nicht an den Statusvorteilen der Oberärzte partizipiert.
Zwischen den Oberärzten und dem Chefarzt steht regulär der Leitende Oberarzt und Chefarztverteter. In einigen Kliniken möchte der Chefarzt diese Position nicht direkt besetzen, da er um seine eigene Autorität fürchtet oder niemanden aus seiner Oberarztriege bevorzugen möchte. Kreative Namensgebungen wie „Personaloberarzt“, „Geschäftsführender Oberarzt“ etc. sind dann machbar.
Nun kann es auch zu Situationen kommen, in denen der Chefarzt diese Vertrauensposition mit einen vergleichsweise jungen, ihn nahe stehenden Kollegen besetzen möchte, der die mit der Position verbundene Funktion des zweithöchsten ärztlichen Entscheidungsträgers noch nicht ausfüllen kann. Oder es steht der Berufung des gewünschten Leitenden Oberarztes ein ältere Kollege entgegen, der nicht übergangen werden kann. In solchen Fällen wird die Spitze geteilt. Es gibt dann zum Beispiel einen geschäftsführenden Leitenden Oberarzt und einen Klinisch Leitenden Oberarzt. Die Semantik ist hier sehr flexibel. Es gibt Fälle, in denen der eigentliche Leitende Oberarzt klinisch so unerfahren ist, daß er einen erfahrenen Kollegen an seiner Seite benötigt, ihm jedoch aus Konkurrenzgründen nicht den Titel des klinisch Leitenden Oberarztes zubilligen möchte. In diesen Fällen ist kreative Wortschöpfung gefragt. Es gibt auch Chefärzte, die bewusst die Doppelspitze bevorzugen, da die damit erzeugt Konkurrenz die eigenen Ziele leichter erreichen läßt. Diese „Divide et impera“ Philosophie wird in den extrem hierarchisch geprägten Universitätskliniken gerne zum eigenen Machtvorteil der Klinikdirektoren eingesetzt.
An Universitätskliniken ist der Aufstieg in der Regel mit der Notwendigkeit zur wissenschaftlichen Tätigkeit verbunden. Ziel dieser wissenschaftlichen Beschäftigung ist dabei in vielen Fällen (vielleicht sogar der Mehrheit) weniger der Erkenntnisgewinn, als vielmehr die so genannte „Habilitation“ oder Lehrbefugnis, die dem Weg zum Professorentitel ebnet und mittelfristig in einer Chefarztposition mündet. Ist diese dann, meistens an einen nichtuniversitären Haus, erreicht, wird die weitere wissenschaftliche Tätigkeit sofort eingestellt. Auf diese Art und Weise werden jährlich Millionen von Forschungsgeldern und unzählige Arbeitsstunden hochmotivierter Mitarbeiter nur zur Produktion völlig nutzloser Forschungspublikationen und der Erlangung des akademischen Grades eines Privatdozenten („Priv.-Doz.“, „PD“) eingesetzt.
Letztlich wird dabei identisch zu einer Promotionsarbeit ein zweites wissenschaftliches Projekt verfolgt oder im Rahmen einer kumulativen Habilitation (die weniger gerne gesehen wird), eine Reihe von über die Jahren publizierten Arbeiten für eine Habilitationsschrift zusammengestellt. Diese wird in einen mehrstufigen Verfahren von der Fakultät im Erfolgsfall angenommen und der Titel eines „Dr. med. habil.“ vergeben. Dieser Titel berechtigt dann in einen meist sofort sich anschließenden zweiten Schritt, zum Beispiel einer Probevorlesung, zur Erlangung der Lehrbefugnis, der „Venia legendi“, die den eigentlichen Titel des Privatdozenten entspricht. Außer bei einer Ernennung auf eine Ehrenprofessur, oder in bestimmten und seltenen Ausnahmefällen, wie an künstlerischen Hochschulen oder Fachhochschulen ist dieses Voraussetzung zur Berufung auf eine reguläre Professur. Im neueren Recht wurden allerdings mittlerweile die „Juniorprofessur“ und der „Tenure track“ auch an den Universitäten eingeführt, diese spielen jedoch in der traditionell sehr konservativen Medizin bisher keine entscheidende Rolle. Ganz im Gegenteil, kann eine solche Karriereplanung, die verkürzt dargestellt, sehr viel einfacher und rascher zum Professorentitel führt, eine eher hinderliche Rolle bei Bewerbungen an Universitätskliniken sein.
Historischer Hintergrund der Einführung der Habilitation war im übrigen nicht die Heranbildung einer Elite in Wissenschaft und Lehre, sondern die Möglichkeit, von der Spitze der hierarchischen Pyramide aus, die Karriereplanung der nachgeordneten Mitarbeiter im Detail und sehr direkt beeinflussen zu können. „Am Chef vorbei habilitiert sich niemand“. Diese mehr als 100 Jahre alte Feststellung hat auch heute noch trotz formaler Möglichkeiten der Nichteinbindung des Fachordinarius in das Habilitationsverfahren an einigen Universitäten noch generelle Gültigkeit. Damit kann der Ordinarius und Chefarzt dezidiert festlegen, mit welchem wissenschaftlichen Themen sich seine Mitarbeiter befassen, wer wie schnell damit vorankommen darf und zudem stets darauf bauen, daß sein Name auf allen Publikationen der Klinik an ehrenvoller letzter Stelle erscheint, obwohl er mit den eigentlichen Arbeiten oft nicht das allergeringste zu tun hat. Die sehr beeindruckend lange Publikationsliste mancher Ordinarien ist im Wesentlichen durch dieses Verfahren begründet. Nicht zuletzt gewährt diese direkte Einflussnahme auch die Möglichkeit eigentlich unzulässige Gefälligkeitsdienstleistungen, auch und vor allem seitens der guten und erfahrenen Mitarbeiter, zu erzwingen. Nicht wenige Buchbeiträge, Publikationen als Erstautor, ehrenvolle Übersichtsarbeiten u.a. der Klinikdirektoren sind ausschließlich durch ihre Mitarbeiter entstanden, ohne daß diese auch nur erwähnt worden wären. Innerhalb der Klinik sichert sich so das geräuschlose „Zähnezusammenbeißen“ auch der Oberärzte, wenn diese zum Beispiel gebeten werden die Privatpatienten des Chefs zu versorgen und auf dem Bericht ihren Namen in die zweite Reihe zu setzen.
Wer als Assistent nun diesen Karriereweg wählen möchte, muß wissen vorauf er sich einlässt. Ist er nicht unbedingt der Favorit des Chefs oder des Leitenden Oberarztes, erhält er vielfach keine Forschungsfreistellung während der Klinikarbeitszeit. Dies bedeutet über Jahre hinweg nachts und am Wochenende im Labor oder am Schreibtisch in der Klinik zu sitzen ohne auch nur eine einzige dieser Stunden als Überstunde notieren zu können. Obwohl er regulär vielleicht als „Wissenschaftlicher Assistent“ eingestellt wurde, wird er seine normale Arbeitszeit ausschließlich in der Krankenversorgung und der bis auf wenige Vorlesungsstunden (wenn überhaupt) des Ordinarius meist zu 100% delegierten Lehre verbringen. In einigen Kliniken wird er den Besuch von Kongressen, Symposien, Kursen und sonstigen wissenschaftlichen Veranstaltungen vollständig selbst finanzieren müssen. Ziel seiner Bemühungen ist in erster Linie die Publikation von Arbeiten in möglichst angesehenen Zeitschriften, das Halten von Vorträgen bei möglichst großen und vielen Kongressen, sowie gegebenenfalls das weniger prestigeträchtige aber bei wichtigen Kongressen durchaus erstrebenswerte Publizieren eines Posters. Daneben gilt es die für die Habilitationsschrift notwendige Forschungsarbeit, die meist experimentell gefordert wird, zügig voranzubringen und die Habilitationsschrift nach Vorliegen der notwendigen Anzahl von Publikationen einzureichen.
Problematisch bleibt für jene Kollegen deren Niederlassung nach dem Erwerb des Facharztes offensichtlich ist, die Erlangung begehrter, da knapper Ressourcen der Ausbildung, wie die Erlernung bestimmter diagnostischer oder interventioneller Verfahren oder das Durchführen wesentlicher Operationen. In der Regel wird die Klinik bemüht sein, diese Tätigkeiten vornehmlich von längerfristig, also auch über den Facharzt hinaus, an das Haus gebundenen Ärzten durchführen zu lassen. Kommen neben der klar erkennbaren Absicht zur Niederlassung noch andere Faktoren, wie persönliche Abneigung der Entscheidungsträger, typischerweise des Leitenden Oberarztes, hinzu, können die Ausgangsvoraussetzungen für eine reale Durchführung der zur Facharztreife notwendigen Verfahren oder Rotationszeiten auf der Intensivstation etc. schon einmal kritisch werden. Andererseits möchte man aber gerade diese Kollegen nicht allzu lange an die Klinik binden, so daß hier Kompromisse in der realen Ausbildung oder auf dem Papier gefunden werden müssen. Die Schlüsselposition in diesem Verfahren liegt zumeist nicht bei dem am Tagesgeschäft nur funktionierend interessierten Chefarzt sondern bei dem in der pyramidalen Hierarchie direkt nachfolgenden Leitenden Oberarzt. Dieser ist für die Personalplanung und die Verteilung von Ressourcen zuständig und nutzt seine Position natürlich zur Erlangung persönlicher Vorteile. Hier läßt sich dann auch der kluge aber an Wissenschaft vielleicht nicht sonderlich interessierte Assistent zur Erzielung einer förderlichen Beziehung zur Zuarbeit bei der Gestaltung und Auswertung von Studien bis hin zur vollständigen Verfassung wissenschaftlicher Arbeiten (dann allerdings nicht unter seinen Namen als Erstautor) gewinnen. Manu manus lavat ist in einer auf sehr direkter Abhängigkeit gegründeten Arbeits- und Ausbildungsumgebung ein gängiger Begriff. Wird dieses Verhalten zwar auch schnell von den weiteren Ärzten und nichtärztlichen Mitarbeitern durchschaut, so ist es doch von nicht angreifbarer Stringenz. Die Wahrscheinlichkeit auf dem Rotations- oder OP-Plan eine attraktive Position oder einen attraktiven Eingriff zugesprochen zu erhalten steigt natürlich mit der Nähe zum Gestalter desselben. Jeden neuen Assistenten in der Klinik wird deshalb schnell klar, daß diskussionsfreudiges Verhalten, insbesondere mit gegensätzlichen Positionen zu den Entscheidungsträgern, den eigenen Fortkommen nicht dienlich ist.
Andererseits können auch jene Assistenten, die bis zum Facharzt in der Klinikhierarchie wenig beliebt waren, erstaunt einen 180°-Wechsel dieser Position bei der Ankündigung der baldigen Niederlassung im Einzugsbereich der Klinik feststellen.
Sollte die Situation allerdings eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses schon während der Ausbildung mehr als erträglich erschweren, so ist die Lage verfahren. Ein nicht durch Fachwechsel oder durch Bewerbung an eine höhereingestufte Klinik (für Assistenten an einer Universitätsklinik kein möglicher Grund) begründeter Wechselwunsch ist meist nicht realisierbar. Der neue Chef in spe würde sofort im alten Haus anrufen und dann nicht nur den Bewerber ablehnen sondern zudem die sowieso schon ungünstige Position desselben weiter erschweren. Eine Kündigung innerhalb der Facharztausbildung wird vom Chefarzt trotz Abschaffung der Leibeigenschaft in der Regel als Verrat und Sakrileg betrachtet. Hier hilft nur der bewährte Spruch aller Assistenten: „Klappe halten“. Da im Übrigen auch nach Abschluss der Facharztausbildung und Eintritt in die Niederlassung hin und wieder Bescheinigungen über dies und jenes vom alten Chef notwendig werden, empfiehlt es sich das emotionale Verhältnis auch am letzten Arbeitstag auf einer rationalen Basis beizubehalten. Die Zahl der Assistenten die Ihren Dienstfunker mit einen sehr vernehmlichen „Ich hab’ die Schnauze voll, ihr könnt mich `mal“ im Chefsekretariat abgeben, hält sich in engen Grenzen.
Schwierig wird dies, wenn das Fach zwingend einen Stellenwechsel erfordert, da z.B. für die Erlangung des Facharztes eine gewisse Zeit in einen anderen Fach notwendig ist. Hier gibt es entweder die Option diese Fremdzeit ganz zu Beginn der Karriere zu absolvieren und in der dortigen Klinik steif und fest zu behaupten man wolle ja nichts anderes machen als definitiv dort bis an das Ende aller Tage tätig zu sein, oder auf eine Stellenrotation zu einen späteren Zeitpunkt zu hoffen. Diese ist im Idealfall von der jeweiligen Klinik organisiert, was aber selten ist, da dies Kooperation über Abteilungen hinweg voraussetzt, die in der Hochschulmedizin mit ihrer oft manischen Abgrenzung nur selten vorkommt. Ziel ist es ja langfristig Mitarbeiter ohne Unterbrechung an sich zu binden. Bleibt dann nur die eigenständige Bewerbung andernorts die aber als Illoyalität aufgefasst werden kann und damit den eventuell notwendigen Weg zurück unmöglich macht.
Plant der Assistent nun eine langfristige Karriere in der Klinik, wird die Sache ungleich schwieriger. Der reguläre Aufstieg in der Diensthierarchie beginnt mit dem Titel des Oberarztes, gefolgt vom Leitenden Oberarzt und letztlich dem Chefarzttitel. Dazwischen gibt es eine Reihe von Abstufungen. Auf Assistentenebene kann dies z.B. der Titel eines „Stationsarztes“ sein. Ich kenne Fälle, in denen diese Position aus Gründen der Disziplinierung oder eines extremen „Beförderungsstaus“ sogar mit Professoren besetzt war.
Die Zahl der Oberärzte ist in der Regel begrenzt, da zum einen das Verhältnis Häuptlinge zu Indianern nicht beliebig expandierbar ist und zum anderen finanzielle Fakten, wie der zur Verfügung stehende Pool aus Mitarbeiterabgaben des Chefarztes eine Limitation des berechtigten Personenkreises aus Sicht der Oberärzte notwendig macht. Zusätzlich ist im neuen Tarifsystem tatsächlich auch eine Stelle hierfür notwendig. Da aber andererseits Urlaub und die sonstige Abwesendheiten der Oberärzte wie Kongresse, Fortbildungen, Wissenschaft etc. zur bequemen Aufrechterhaltung der Klinikfunktionen einen gewissen Mitarbeiterstab in übergeordneter Funktion notwendig machen, wird vielerorts der Funktionsoberarzt eingeführt. Letztlich ein Facharzt aus der Reihe der Assistenzärzte, der Oberarztätigkeiten, wie z.B. entsprechende Dienste versieht, jedoch nicht an den Statusvorteilen der Oberärzte partizipiert.
Zwischen den Oberärzten und dem Chefarzt steht regulär der Leitende Oberarzt und Chefarztverteter. In einigen Kliniken möchte der Chefarzt diese Position nicht direkt besetzen, da er um seine eigene Autorität fürchtet oder niemanden aus seiner Oberarztriege bevorzugen möchte. Kreative Namensgebungen wie „Personaloberarzt“, „Geschäftsführender Oberarzt“ etc. sind dann machbar.
Nun kann es auch zu Situationen kommen, in denen der Chefarzt diese Vertrauensposition mit einen vergleichsweise jungen, ihn nahe stehenden Kollegen besetzen möchte, der die mit der Position verbundene Funktion des zweithöchsten ärztlichen Entscheidungsträgers noch nicht ausfüllen kann. Oder es steht der Berufung des gewünschten Leitenden Oberarztes ein ältere Kollege entgegen, der nicht übergangen werden kann. In solchen Fällen wird die Spitze geteilt. Es gibt dann zum Beispiel einen geschäftsführenden Leitenden Oberarzt und einen Klinisch Leitenden Oberarzt. Die Semantik ist hier sehr flexibel. Es gibt Fälle, in denen der eigentliche Leitende Oberarzt klinisch so unerfahren ist, daß er einen erfahrenen Kollegen an seiner Seite benötigt, ihm jedoch aus Konkurrenzgründen nicht den Titel des klinisch Leitenden Oberarztes zubilligen möchte. In diesen Fällen ist kreative Wortschöpfung gefragt. Es gibt auch Chefärzte, die bewusst die Doppelspitze bevorzugen, da die damit erzeugt Konkurrenz die eigenen Ziele leichter erreichen läßt. Diese „Divide et impera“ Philosophie wird in den extrem hierarchisch geprägten Universitätskliniken gerne zum eigenen Machtvorteil der Klinikdirektoren eingesetzt.
An Universitätskliniken ist der Aufstieg in der Regel mit der Notwendigkeit zur wissenschaftlichen Tätigkeit verbunden. Ziel dieser wissenschaftlichen Beschäftigung ist dabei in vielen Fällen (vielleicht sogar der Mehrheit) weniger der Erkenntnisgewinn, als vielmehr die so genannte „Habilitation“ oder Lehrbefugnis, die dem Weg zum Professorentitel ebnet und mittelfristig in einer Chefarztposition mündet. Ist diese dann, meistens an einen nichtuniversitären Haus, erreicht, wird die weitere wissenschaftliche Tätigkeit sofort eingestellt. Auf diese Art und Weise werden jährlich Millionen von Forschungsgeldern und unzählige Arbeitsstunden hochmotivierter Mitarbeiter nur zur Produktion völlig nutzloser Forschungspublikationen und der Erlangung des akademischen Grades eines Privatdozenten („Priv.-Doz.“, „PD“) eingesetzt.
Letztlich wird dabei identisch zu einer Promotionsarbeit ein zweites wissenschaftliches Projekt verfolgt oder im Rahmen einer kumulativen Habilitation (die weniger gerne gesehen wird), eine Reihe von über die Jahren publizierten Arbeiten für eine Habilitationsschrift zusammengestellt. Diese wird in einen mehrstufigen Verfahren von der Fakultät im Erfolgsfall angenommen und der Titel eines „Dr. med. habil.“ vergeben. Dieser Titel berechtigt dann in einen meist sofort sich anschließenden zweiten Schritt, zum Beispiel einer Probevorlesung, zur Erlangung der Lehrbefugnis, der „Venia legendi“, die den eigentlichen Titel des Privatdozenten entspricht. Außer bei einer Ernennung auf eine Ehrenprofessur, oder in bestimmten und seltenen Ausnahmefällen, wie an künstlerischen Hochschulen oder Fachhochschulen ist dieses Voraussetzung zur Berufung auf eine reguläre Professur. Im neueren Recht wurden allerdings mittlerweile die „Juniorprofessur“ und der „Tenure track“ auch an den Universitäten eingeführt, diese spielen jedoch in der traditionell sehr konservativen Medizin bisher keine entscheidende Rolle. Ganz im Gegenteil, kann eine solche Karriereplanung, die verkürzt dargestellt, sehr viel einfacher und rascher zum Professorentitel führt, eine eher hinderliche Rolle bei Bewerbungen an Universitätskliniken sein.
Historischer Hintergrund der Einführung der Habilitation war im übrigen nicht die Heranbildung einer Elite in Wissenschaft und Lehre, sondern die Möglichkeit, von der Spitze der hierarchischen Pyramide aus, die Karriereplanung der nachgeordneten Mitarbeiter im Detail und sehr direkt beeinflussen zu können. „Am Chef vorbei habilitiert sich niemand“. Diese mehr als 100 Jahre alte Feststellung hat auch heute noch trotz formaler Möglichkeiten der Nichteinbindung des Fachordinarius in das Habilitationsverfahren an einigen Universitäten noch generelle Gültigkeit. Damit kann der Ordinarius und Chefarzt dezidiert festlegen, mit welchem wissenschaftlichen Themen sich seine Mitarbeiter befassen, wer wie schnell damit vorankommen darf und zudem stets darauf bauen, daß sein Name auf allen Publikationen der Klinik an ehrenvoller letzter Stelle erscheint, obwohl er mit den eigentlichen Arbeiten oft nicht das allergeringste zu tun hat. Die sehr beeindruckend lange Publikationsliste mancher Ordinarien ist im Wesentlichen durch dieses Verfahren begründet. Nicht zuletzt gewährt diese direkte Einflussnahme auch die Möglichkeit eigentlich unzulässige Gefälligkeitsdienstleistungen, auch und vor allem seitens der guten und erfahrenen Mitarbeiter, zu erzwingen. Nicht wenige Buchbeiträge, Publikationen als Erstautor, ehrenvolle Übersichtsarbeiten u.a. der Klinikdirektoren sind ausschließlich durch ihre Mitarbeiter entstanden, ohne daß diese auch nur erwähnt worden wären. Innerhalb der Klinik sichert sich so das geräuschlose „Zähnezusammenbeißen“ auch der Oberärzte, wenn diese zum Beispiel gebeten werden die Privatpatienten des Chefs zu versorgen und auf dem Bericht ihren Namen in die zweite Reihe zu setzen.
Wer als Assistent nun diesen Karriereweg wählen möchte, muß wissen vorauf er sich einlässt. Ist er nicht unbedingt der Favorit des Chefs oder des Leitenden Oberarztes, erhält er vielfach keine Forschungsfreistellung während der Klinikarbeitszeit. Dies bedeutet über Jahre hinweg nachts und am Wochenende im Labor oder am Schreibtisch in der Klinik zu sitzen ohne auch nur eine einzige dieser Stunden als Überstunde notieren zu können. Obwohl er regulär vielleicht als „Wissenschaftlicher Assistent“ eingestellt wurde, wird er seine normale Arbeitszeit ausschließlich in der Krankenversorgung und der bis auf wenige Vorlesungsstunden (wenn überhaupt) des Ordinarius meist zu 100% delegierten Lehre verbringen. In einigen Kliniken wird er den Besuch von Kongressen, Symposien, Kursen und sonstigen wissenschaftlichen Veranstaltungen vollständig selbst finanzieren müssen. Ziel seiner Bemühungen ist in erster Linie die Publikation von Arbeiten in möglichst angesehenen Zeitschriften, das Halten von Vorträgen bei möglichst großen und vielen Kongressen, sowie gegebenenfalls das weniger prestigeträchtige aber bei wichtigen Kongressen durchaus erstrebenswerte Publizieren eines Posters. Daneben gilt es die für die Habilitationsschrift notwendige Forschungsarbeit, die meist experimentell gefordert wird, zügig voranzubringen und die Habilitationsschrift nach Vorliegen der notwendigen Anzahl von Publikationen einzureichen.
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