Montag, 28. Mai 2007
Wissenschaftliche Publikationen
„Publish or perish“, wer nicht publiziert ist aus dem Rennen, oder kommt erst gar nicht hinein. Generell ist die Publikation in einer wichtigen, hochbewerteten Zeitschrift am wertvollsten. Kriterium für den Wert der Zeitschrift ist dabei der so genannte „Impact-Factor“ (IF), ein Wert zwischen 0 und vielleicht 50 im medizinischen Bereich. Dieser Wert berechnet sich aus der Anzahl der Zitierungen von Artikeln der jeweiligen Zeitschrift in anderen (oder der gleichen) Zeitschriften während eines gewissen Zeitraums. Berechnet wird dieser vom Institute for Scientific Information (ISI) in den USA. Letztlich wertet dieses etwa 30 Millionen Zitate pro Jahr aus, der IF berechnet sich dabei aus der Anzahl der Zitate durch die Anzahl der Artikel in der Zeitschrift im Untersuchungszeitraum. Das ISI legt auch fest, welche Zeitschriften überhaupt zu den etwa 6000 gelisteten gehören und zum Beispiel in wichtigen Literaturarchiven wie den „PubMed“, ebenfalls aus den USA, abgerufen werden können. Damit ist sofort klar, daß deutschsprachige Zeitschriften von vornherein chancenlos oder schlecht bewertet sind, und Fachzeitschriften kleiner klinischer Fächer im Gegensatz zu den großen Fächern, vor allem der Inneren Medizin, deutlich schlechter abschneiden. Neben dem vom Grundsatz her damit angelegten Standortnachteil der deutschsprachigen Wissenschaft bedeutet dies den Verzicht auf eine Publikation in der Heimatsprache und die direkte Publikation in Englisch. Nicht wenige deutsche Zeitschriften sind deshalb nur in Englisch erhältlich oder müssen sich mit einen niedrigen Impact-Factor begnügen, der ihnen wiederum die qualitativ guten Arbeiten vorenthält. Typischerweise wird der optimistische Forscher seine Arbeit bei einer sehr hoch bewerteten Fachzeitschrift einreichen. Sollte diese in den USA sein, hatte es sich vor der Ära der elektronischen Manuskripteinreichung bewährt, diese direkt auf Papier des amerikanischen Letter-Formates abzusenden, da ansonsten die unabhängigen Fachgutachter der Zeitschrift, die meist zu zweit oder zu dritt in anonymisierter Form um Evaluation gebeten werden, diese sofort nach Erkennen des DinA4-Formates mehr als kritisch beurteilt hätten. Natürlich ist das Überarbeiten der hoffnungsvollen Publikation durch einen nativsprachlichen englischen Mediziner sinnvoll. Glück, wer einen kennt. Wird die Arbeit abgelehnt, dann sendet man sie an eine mindergut bewertete Zeitschrift, bis sich irgendwann und irgendwo (teilweise nach Jahren) eine Zeitschrift zur Publikation bereit findet. Meist sind umfangreiche Korrekturen notwendig, die man aber gerne macht.

Um die Habilitation einreichen zu können, sind typischerweise etwa 5-8 Arbeiten als Erstautor und noch einmal so viele als Mitautor notwendig. Für die wissenschaftliche Karriere ist es von Vorteil möglichst viele Publikationen zu haben. Ist man an der Spitze der Pyramide angekommen, fördert es das Prestige viel zu publizieren. Glücklicherweise trägt jede Arbeit meist mehr als einen Namen. Es sollte zwar eine gewisse Proportionalität zwischen Wertigkeit der Arbeit und Zahl der Autoren bestehen, es gibt aber immer wieder auch triviale Falldarstellungen mit 5 und mehr Autoren.

In der Regel wird dabei der wichtige Erstautor jener sein, der die Arbeit tatsächlich geschrieben hat. Ausnahmen sind dabei Gefälligkeitszuarbeiten z.B. für den Leitenden Oberarzt zur Erlangung anderer Vorteile oder Auftragsarbeiten für den Chefarzt und Ordinarius. Zweitwichtigster Autor ist der Letztautor. Typischerweise ist dies der Leiter des Labors oder der Chefarzt und Ordinarius der Klinik der mit der eigentlichen Arbeit meist nichts zu tun hat, sie oft nicht einmal kennt. Dieses tradierte Vorrecht wird jedoch verständlicherweise mit den Zähnen verteidigt und etwaige Zuwiderhandlungen mit ernsthaften Sanktionen bestraft. Zwischen Erst- und Letztautor steht eine undefinierte Anzahl von Mitautoren. Natürlich jene, die tatsächlich zur Arbeit beigetragen haben, aber natürlich auch andere, die die identische Gefälligkeit umgekehrt erweisen.

Mitnichten verpönt sind dabei Doppelpublikationen. Das heißt die gleiche Arbeit wird in unterschiedlichen Zeitschriften mehrfach publiziert. Dies kann günstigerweise z.B. in zwei oder mehr Sprachen erfolgen, oder auch in Zeitschriften unterschiedlichen Spektrums, z.B. einer Zeitschrift die sich mit Bildgebung beschäftigt und einer anderen klinisch orientierten. Dieses Vorgehen ist eigentlich unerwünscht und wird vielfach bestraft, einige kleinere Zeitschriften sind jedoch froh, wenn Sie überhaupt Publikationen erhalten. Natürlich sollte der Autor darauf achten, den Titel abzuwandeln, damit nicht im eigenen Literaturverzeichnis die Doppelpublikation sofort offenkundig wird. Da dieses Vorgehen durch zunehmende Vernetzung glücklicherweise immer stärker auffällig wird, tritt eine andere Form der Mehrfachpublikation in den Vordergrund. Die wissenschaftlichen Ergebnisse des Forschungsprojektes werden in kleine und kleinste Häppchen geteilt und ohne Risiko einer ehrenrührigen Doppelpublikation mehrfach publiziert.

Wichtig sind ebenfalls Vorträge bei großen Kongressen, vor allen solche, die diese in Form von Abstracts hinterher auch in großen Zeitschriften publizieren. Kongresse sind insgesamt eine wesentliche Notwendigkeit im System der Hochschulmedizin. Man unterscheidet dabei die großen meist jährlichen Fachkongresse der einzelnen Fächer in Deutschland, die europäischen und internationalen Fachkongresse sowie eine Unzahl von kleinen entweder örtlich begrenzter Veranstaltungen („Niederrheinische Expertentagung für..“) oder Spezialgebietsbezogenen Veranstaltungen. Da die Ausrichtung der Kongresse sehr ehrenvoll ist, die wichtigsten Teilnehmer entweder bezahlt, oder zumindest eingeladen werden und viele andere ihre Reisekosten den Kliniketat entnehmen können, ist die Anzahl der Kongresse traditionell sehr hoch. Da aber gerade die etwas aufwendigeren Kongresse auch erhebliche Kosten verursachen, die nicht alleine von den „einfachen“ Teilnehmern oder den normalen Referenten getragen werden können, können Kongresse nur mit Unterstützung der Industrie stattfinden. Da die Medizinprodukthersteller aus einer Reihe von Gründen in den letzten Jahren zunehmend weniger Gelder für die Repräsentation aufwenden und damit zur Unterstützung dieser Kongresse zur Verfügung stellen können, nimmt die Zahl der Veranstaltungen glücklicherweise ab. Zusätzlich scheint sich ein Trend hin zu den spezialisierten Kongressen zu entwickeln, da nur dort das jeweilige Spezialgebiet wirklich auch in der notwendigen Breite dargestellt werden kann. Viele Spezialisten sehen es auch nicht mehr ein, die großen Kongresse, an denen sie oft nur wenige Stunden für ihr Spezialgebiet teilnehmen, durch ihre Tagungsgebühr für den gesamten Kongresszeitraum zu finanzieren. Bei vielen Veranstaltungen entspricht oft die Zuhörerzahl im Raum der Zahl an Referenten der betreffenden Sitzung. Trotz allem reichen die wissenschaftlichen Ergebnisse nicht aus, die Redezeit bei all diesen Kongressen zu füllen. Deshalb ist es allgemein üblich, Vorträge mehrfach zu halten. Eine mögliche und nicht untypische Vortragskarriere wäre z.B.: Ostdeutscher Fachkongress, Westdeutscher Fachkongress, Deutscher Fachkongress, Europäischer Fachkongress, Internationaler Fachkongress, Deutscher Spezialistenkongress, Europäischer Spezialistenkongress, Internationaler Spezialistenkongress....... Manche Vorträge können die interessierten Fachkollegen, die sich ja zwangsläufig immer wieder treffen, mittlerweile auswendig. Diese Unsitte wird mit dem immer gleichem Argument der unterschiedlichen Zuhörerschaft verteidigt, ist jedoch nur möglich, da die Referenten möglichst viele Vortragspublikationen nachweisen müssen und die Kongressveranstalter „ihren“ Kongress am Leben erhalten möchten. Sinkt die Teilnehmerzahl sinkt das Interesse der Aussteller und damit die finanziellen Grundlage die Kongresse erst möglich machen.

Neben Vorträgen auf Kongressen gibt es die Möglichkeit hier Poster auszustellen. Poster bieten für den Kongressveranstalter den großen Vorteil, daß er die Autoren als Teilnehmer des Kongresses zum einen zahlenmäßig aufführen kann, zum anderen jedoch auch real Tagungsgebühren erhält. Durch das vergleichsweise einfache Schaffen einer Posteraustellungsfläche läßt sich somit Prestige und Budget des Kongresses mehren. Leider zählen Poster trotz ihres oft erheblichen Produktionsaufwandes nicht zu den „harten“ Publikationen. Obwohl es immer wieder einige renommierte Wissenschaftler gibt, die sich die Mühe machen auch ein Poster auszustellen, findet man auf vielen Kongressen oft leere Stellwände. Die Poster wurden vom Veranstalter angenommen, die Annahme von den Autoren bestätigt und damit das Ziel der Publikation nachweisbar erreicht. Auf die Mühe das Poster dann tatsächlich anzufertigen oder gar vorzustellen wird gerne verzichtet. Eine Bestrafung ist nicht zu befürchten, da die Kongressveranstalter auf zukünftige Einsendungen der Autoren angewiesen sind.

So wird zum Wohl aller Beteiligten eine ungeheure Vielzahl an oft sehr spärlicher Information auf vielfältigen Weg publiziert. Alles was gesprochen wird findet sich in mehr oder weniger hohen Prozentsatz einige Zeit später wieder in gedruckter Form auf dem Markt. Einige Kollegen haben das Verfahren so perfektioniert, daß die gedruckten Arbeiten oft schon vor den Kongressvorträgen publiziert sind. Beliebt sind zudem Monographien, also Bücher, die oft mit anderen Autoren zusammen geschrieben und mit dem finanziellen Mitteln interessierter Firmen in Kleinauflagen verlegt, manchmal sogar den gar nicht interessierten Fachpublikum ungefragt zugesandt werden.

Ziel der Autoren ist die Verlängerung der eigenen Publikationsliste als Beleg ihrer wissenschaftlichen Arbeit und Erfolge. Ziel der Fachverlage ist Umsatz, Positionierung oder zumindest Erhalt der Zeitschriften, Ziel der Kongressveranstalter ist Prestige, Ziel der Medizinprodukthersteller ist der Werbeeffekt oder die Marktführerschaft bei Meinungsbildnern. Bezahlt wird das System von der Industrie aber zum großen Teil leider auch von den Bibliotheken mit immer höheren Zeitschriftenpreisen und nicht zuletzt von den Kongressbesuchern mit zum Teil unsinnig hohen Teilnahmegebühren (die ja glücklicherweise oft aus dem Etat des Institutes oder der Klinik und damit aus Steuergeldern refinanziert werden). Es ist manchmal schon etwas beschämend, wenn man zur Vorstellung der eigenen Forschungsergebnisse nicht nur die Reisekosten sondern auch enorme Teilnahmegebühren bei solchen Veranstaltungen aus der Familienkasse finanzieren muß um dann zu sehen, wie damit Meinungsbildner und Freunde des Organisators durch Einladungen mit FirstClass-Flug, 5-Sterne Hotel etc. subventioniert werden.

Aber ungeachtet aller Schmähungen „Publish or perish“ gilt und ist per se auch nicht negativ. Spätestens nach Erreichen einer gewissen Stufe der Karriere nehmen die Vorteile in Form von zufallenden Mitautorenschaften und eigenen Kongresseinladungen ja auch entsprechend zu.
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