Der Einstieg
Das traditionelle System der Hochschulmedizin beruht in vieler Hinsicht auf nackter Ausbeutung. Ziel der etablierten Kollegen ist es, so viel praktischen Nutzen (in erster Linie pekuniären Vorteile aber auch Popularitätsgewinn, z.B durch das sich Schreiben lassen von Büchern) aus Ihren Mitarbeitern zu holen, wie nur irgend möglich. Aus diesem, und nur aus diesem Grund, ist die ärztliche Hierarchie bis heute streng pyramidal angelegt.
Nehmen wir das Beispiel eines hochmotivierten, intelligenten, Berufsanfängers. Sein Ziel muß es sein, in der Hierarchie des Systems möglichst ohne Umwege an die Spitze zu gelangen. Der bis auf wenige Ausnahmen einzige Weg hierzu führt über eine Karriere an einer Universitätsklinik, da Chefarztpositionen in der Regel von oben nach unten besetzt werden. Das heißt Chef am Kreiskrankenhaus wird nur der Oberarzt aus dem Lehrkrankenhaus xy, Chef des Lehrkrankenhauses wird nur der Oberarzt der Universitätsklinik xy und Chef der Universitätsklinik wird nur der Oberarzt (oder Chef) einer anderen Universitätsklinik.
In unseren Fall wird der junge Kollege also danach streben, als Assistenzarzt an einer Universitätsklinik zu beginnen, da er sich im hier vom Anfang an die besten Chancen eröffnen. Nach dem Abitur mit 19 Jahren, der Bundeswehr oder einen sozialen Jahr mit 20, dem Studium dann mit 26 bewirbt er sich also im Alter von 25-27 Jahren zum ersten Mal auf eine bezahlte Position.
Positionen an Universitätskliniken sind rar. Wer hat nun hier die besten Chancen? Der bestens ausgebildete mit besten Noten? Der Auslandserfahrene mit zusätzlichen Laborspezialkenntnissen? Der sozial engagierte mit Doppelkarriere in Beruf und Umfeld? Na, ja vielleicht. Kommt auf die Bewerberlage an. In der Regel jedoch der, der dem einstellenden Chef oder Leitenden Oberarzt an meisten Vorteile bringt. Dies ist also typischerweise eine Absolvent, der bereits während des Studiums durch Praktika (Famulaturen) in die Klinik eingearbeitet wurde, der im letzten Abschnitt seines Studiums, seines Praktischen Jahres (PJ) sich als integrationsfähig und fleißig erwiesen hatte, und nach Möglichkeit sogar im Rahmen seiner Promotion für den einen oder anderen in der Klinik Hilfsarbeiten in der Forschung erledigte. Als dergestalt bewährter Mitarbeiter ist auch zukünftig das reibungslose funktionieren des Apparates sichergestellt und eventuelle Unsicherheiten durch die Neueinstellung eines unbekannten Gesichtes werden von vornherein vermieden. Ungünstigerweise hat es sich mittlerweile unter den besten der Jahrgänge herumgesprochen, daß die Medizinerkarriere derzeit zwar viel Arbeit aber wenig Brot bringt, so daß von den Stapeln an Bewerbungen, die noch vor einigen Jahren wöchentlich in den Sekretariaten der Kliniken eingingen nur kümmerliche Reste, der oft nicht gerade besten Absolventen, übrig blieben. Aktuell ist die Ausbildung in anderen Ländern, zum Beispiel Großbritannien, nicht nur aufgrund der besseren Ausbildungsbedingungen in den eher teamorientierten Abteilungen sondern auch bei einen mehrfachen des hiesigen Gehaltes wesentlich attraktiver. Nehmen wir an, der motivierte Jungakademiker läßt sich hiervon nicht schrecken und bewirbt sich an mehreren Universitätskliniken. In der Regel erfolgt dies blind, da Angebote für Assistenzärzte an Universitätskliniken nicht ausgeschrieben werden. Vor Jahren erfolgte dieses vielleicht einmal für Stellen in der Psychiatrie, die attraktiven Fächer suchte man jedoch vergebens in den einschlägigen Blättern. Das hat sich zwar aktuell geändert, doch ist davon auszugehen, daß bei den inserierten Stellen in an sich attraktiven Fächern irgendwo ein Haken besteht. Eventuell handelt es sich um eine auf ein Jahr befristete Schwangerschaftsvertretung, eine Position in der Dokumentation oder eine Stelle in den Tiefen der neuen Bundesländer.
Mit Glück wird der hoffnungsfrohe Bewerber dann zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen. Es gibt Unmengen an Berichten über den Ablauf solcher Gespräche. Von Vorstellungen auf dem Flur zwischen zwei Operationen des Entscheidungsträgers, von Bewerbern die einen ganzen Tag auf das Erscheinen des Chefs warten mußten, von Einzelgesprächen, von Vorstellungen vor der versammelten Mannschaft, in seltenen Fällen auch von richtiggehenden Auswahlsitzungen. Natürlich käme nie ein Bewerber auf die Idee die Erstattung irgendwelcher Auslagen wie Reisekosten etc. zu erwarten. Dies ist nicht üblich. Er kann schon froh sein, wenigstens seine Unterlagen im Falle der Ablehnung zurück zu erhalten oder zumindest eine Mitteilung der Ablehnung, von einer Begründung ganz zu schweigen.
Nehmen wir weiter an, er hat es tatsächlich geschafft eine Stelle angeboten zu bekommen. In diesen Fall wird die wichtigste Frage erst einmal sein, zu klären, ob es sich um eine bezahlte Position handelt, es gab zu Zeiten der „Ärzteschwemme“ in den 80er Jahren durchaus Angebote der Gastarzttätigkeit ohne Bezahlung. Da die Ärztekammern dieses natürlich strikt ablehnten, mußte der Kollege also auch noch darauf achten, daß niemand davon erfuhr, daß er kostenlos arbeitete, da er sonst seine Weiterbildung nicht angerechnet bekommen hätte. In dieser Phase fiel auch die Einführung des AiP (Arzt im Praktikum), der erst 2004 abgeschafft wurde. Man hatte damals kurz gesagt die Gunst der Stunde mit einer hohen Anzahl von Assistenzarztbewerbern genutzt und eine volle Stelle in mehrere Stellen geteilt. Diese mit etwa 900 € bezahlte 18-monatige Phase des frischgebackenen Arztes war letztlich die Verlängerung des Studiums in pekuniärer Hinsicht bei voller Arbeitszeit und Verantwortung (juristisch natürlich umschrieben) eines Assistenzarztes. Ein erstes Gehalt im wirklichen Sinne des Wortes bezog man also mit etwa 27-28 Jahren. Dieser Unfug wurde offiziell durch die Proteste der organisierten Kollegen mit einer Neustrukturierung des Studiums und der Ausbildung beendet, de facto jedoch durch die Probleme geeigneten Nachwuchs zu rekrutieren gestoppt.
Unser junger Kollege erhält also einen ersten Arbeitsvertrag. Üblicherweise ist dieser immer befristet, es gibt Kollegen, die ihren ersten unbefristeten Vertrag beim Übergang in die Chefarztposition erhalten haben. Seitens der Befristung existieren eine Reihe von Modellen, beginnend von 3 Monaten bis hin zu max. 10 Jahren. In der Regel wird an seriösen Häusern jedoch ein 4 oder 5-Jahresvertrag vergeben. Dieser wird dann zumeist um max. 2-4 Jahre verlängert. Ziel ist es letztlich den Abschluss als Facharzt zu erwerben. Nun wird in vielen Fächern eine Mischung verschiedener Tätigkeiten bis zum Facharzt gefordert. Der Unfallchirurg und Orthopäde muß z.B. einen Teil seiner Ausbildung im Gegenfach, also der Orthopädie oder der Unfallchirurgie verbringen, Zeiten auf Intensivstationen nachweisen. Der Radiologe muß Zeiten in einen zweiten Fach, der Allgemeinarzt in mehreren Fächern nachweisen. Nun sollte man meinen, diese wäre in irgendeiner Weise an den großen Häusern durch eine Rotation sichergestellt. Weit gefehlt! Die meisten Abteilungen oder Kliniken in den großen Universitätskliniken sind weitgehend autistisch strukturiert. Seitens der Klinikchefs besteht kein großes Interesse an einer Rotation „ihrer“ Assistenten, diese sollten das bitte selbstverantwortlich in die Hand nehmen. Das bedeutet im Einzelfall die Kündigung und Neubewerbung mit allen Nachteilen für den jungen Kollegen. Ist es zum Beispiel offensichtlich, daß der hoffnungsvolle Jungkollege beabsichtigt lediglich ein oder zwei Jahre im „Fremdfach“ zu bleiben, da er ja eigentlich etwas anderes werden möchte, so wird er entweder erst gar nicht eingestellt, oder zu niederen Tätigkeiten verurteilt. Die Chancen der langfristig bleibenden Kollegen (z.B. Vertiefung der operativen Fertigkeiten) werden ihn erst gar nicht eröffnet.
Hier hilft nur eines: Lügen, daß sich die Balken biegen! Natürlich möchte ich Intensivmediziner werden! Etwas schöneres als die Kardiologie (oder jedes beliebige andere gesuchte Fach) kann ich mir gar nicht vorstellen! Jedenfalls sich erst einmal Zutritt zu verschaffen.
Problematisch wird dann allerdings die weitere Bewerbung auf das zweite Fach. Diese muß unter allen Umständen konspirativ geschehen. Erfährt der aktuelle Chef auch nur ein Gerücht, ist es sofort aus mit der weiteren Karriere am Haus. Das bedeutet nicht nur bei den Bewerbungen streng auf Vertraulichkeit zu verweisen (das Problem ist natürlich ubiquitär bekannt) sondern diese auch konspirativ zu organisieren. Hierzu bieten sich immer Urlaubsreisen an. Man legt den Vorstellungstermin am Anfang oder Ende einer solchen und ist damit gesichert. Skiurlaub in den Alpen mit Vorstellung in München, Segelferien mit Abstecher nach Hamburg etc. Häufigere kurze Abwesendheiten über jeweils ein oder zwei Tage sind stets verdächtig und sollten unterbleiben. Über die außerhalb der Medizin praktizierte Methode in regelmäßigen Abständen Bewerbungen abzusenden um dann mit guten Angeboten eine bessere Bezahlung auszuhandeln, können Ärzte nur lachen.
Überhaupt die Bezahlung. Um hier jegliche Illusionen gleich zu klären, Universitätskliniken bezahlen nach Regeln des öffentlichen Dienstes, zumeist schlechter als städtische (kommunale) Häuser, aber zum Teil noch besser als private Klinken ihre Berufsanfänger entlohnen. Typischerweise erhält der Assistenzarzt ein BAT IIa Gehalt. Dies entspricht derzeit ca. 3.000 € je nach Ortszuschlag. Hinzu kommt noch eine besondere Vergütung für Überstunden bzw. Dienste, diese konnte früher durchaus das Gehalt verdoppeln.
Üblicherweise arbeitet der Assistenzarzt an der Universitätsklinik mehr als 40 Stunden/Woche. Es ist nicht ganz so schlimm wie in den USA, wo vor kurzem die Reduktion der regulären Arbeitszeit der Assistenzärzte von 120 auf 80 Stunden wöchentlich massive Proteste der Arbeitgeber hinsichtlich Ausbildung der Jungkollegen und Bewältigung der Arbeit hervorrief, aber es ist zum Teil nicht tief greifend anders. Neben dem Job am Patienten müssen Dokumentationsaufgaben (hierzu später) aber vor allem auch Lehr- und Forschungsaufgaben wahrgenommen werden. Wer Karriere machen möchte, muß forschen und publizieren. Hierzu wird ihm in der Regel kein zeitlicher Freiraum während seines normalen Arbeitstages eingeräumt. Die Gewährung oder Nichtgewährung solcher freier Forschungszeiten ist ein beliebte Mittel der Klinikdirektoren zur gezielten Förderung genehmer Mitarbeiter oder Disziplinierung anderer. Forschung an den Universitätskliniken wird nach Dienst, nachts oder am Wochenende erledigt. Diese Zeiten dürfen natürlich regulär nicht als Überstunden notiert werden, dienen sie doch der Gestaltung der Freizeit der Mitarbeiter und ihren persönlichen Fortkommen. Noch dazu würden diese einmal notiert, mit den Arbeitszeitgesetzen kollidieren. Trotzdem addieren sich schon alleine die Zeiten in der Patientenversorgung, Dokumentation, Lehre und die tagsüber vollbrachte Wissenschaft zu beachtlichen Wochenarbeitszeiten. Es war (ist hoffentlich derzeit nicht mehr) üblich, nach einen normalen Arbeitstag den Nachtdienst zu absolvieren und am nächsten Tag weiterzuarbeiten. Neben den unschönen Effekten auf Konzentrationsvermögen und Urteilssicherheit ergab sich damit aber auch ein erheblicher pekuniärer Vorteil, soweit diese Überstunden ausbezahlt wurden. Die Ärztegewerkschaft (Marburger Bund) war sich deshalb lange nicht sicher, wie sie sich verhalten sollte. Einerseits war es sinnvoll die Abkehr von der 60-80 Stunden Woche für die tatsächlich am Rande des physischen Limits handelnden Ärzte zu fordern, andererseits drohten ihren Mitgliedern damit handfeste finanzielle Nachteile. Nach Jahren des Lavierens um dieses Problem, entschied letztlich die Europäische Gesetzgebung nicht nur mit Festlegung von Obergrenzen für Arbeitszeiten, sondern auch mit der Anerkennung von Bereitschaftsdiensten (im Krankenhaus verbracht) als Dienstzeiten.
Noch heute ist im Rahmen von Übergangsregelungen oder bewussten Nichthinsehen der Aufsichtsbehörden (letztlich untersteht das Gewerbeaufsichtsamt der gleichen Landesregierung, wie dies auch der Klinikbetrieb tut) keine durchgreifende Regelung getroffen.
Das heißt, es wird nach wie vor erwartet, daß Ärzte in die Klinik fahren, dort in Dauerbereitschaft stehen aber nur einen prozentualen Anteil dieser an ihren Arbeitsplatz verbrachten Zeit bezahlt bekommen. „Sie schlafen ja schließlich auch“, ist der einzige Kommentar. Könnten sie sich das von einem beliebigen Arbeitnehmer in anderer Position vorstellen?
In summa ist es heute üblich, daß der Assistenzarzt nach einen harten Arbeitstag in der Klinik bleibt, dort den nächtlichen Bereitschaftsdienst versieht und nach 24h Dienst am Folgetag nach Hause darf. Damit ist er zwar immer noch zu lange im Dienst, aber die Zahl der Überstunden ist schon deutlich reduziert. Zudem gibt es die Vorschrift des Freizeitausgleiches, die die Auszahlung vieler Überstunden vermeidet. Ob dieser dann genommen werden kann oder nicht (ich kenne Kollegen, die sind tatsächlich mit ihren Stundenkonto Jahre früher in Rente gegangen) steht auf einen anderen Blatt, zumindest die Zahl der bezahlten Überstunden wurde reduziert. Die Höhe dieser Anzahl, ob nun 20 im Monat oder 40 oder 60 oder... ist im Übrigen nie festgeschrieben sondern meist der politischen Situation innerhalb des Klinikums überlassen. Sie wird im Jahresbudget der Abteilung berücksichtigt und ist damit verhandelbar. Kollegen der Klinik A können trotz gleicher Arbeitszeiten weniger als Kollegen der Klinik B erhalten, wenn deren Chef besser verhandelt oder sich in prononcierter Position innerhalb des Klinikums befindet. Ein Chef der gleichzeitig Klinikdirektor des Gesamthauses oder Dekan der Fakultät ist, hat natürlich weitaus mehr Einflussmöglichkeiten als ein einfacher Abteilungsleiter.
In der Konsequenz werden sich zu den vorab genannten 3.000 € noch etwa 600 € addieren und damit typischerweise beim ledigen kinderlosen Assistenzarzt nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben 2.000 € netto verbleiben. Nach 4-6 Jahren Dienst sind dies beim dann verheirateten Kollegen ohne Kindergeld ca. 5.000 € brutto und etwa 3.000 € netto.
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