Habilitation – Professur – Schein-Vorlesungen
Ich vermute, daß in Deutschland ein nicht unerheblicher Teil von Forschungsgeldern oder geldwerten Arbeitsstunden hochqualifizierter Ärzte damit vergeudet wird, wissenschaftlichen Output minderer Qualität zu publizieren um damit das Ziel des Privatdozenten und letztlich den Titel eines Professors oder eine Professur zu erreichen. Letztere setzt allerdings eine Berufung auf eine feste Stelle voraus.

Der typische Weg hierzu im medizinischen Bereich ist nach der Habilitation im Wesentlichen zu warten. Nach einem Zeitraum von 2-6 Jahren nach Erteilung der Venia legendi kann der Titel eines außerplanmäßigen Professors (apl. Prof., wobei das apl. Im Titel nicht geführt wird) beantragt werden. Voraussetzung zur Gewährung des Titels ist der Nachweis von studentischer Lehre und weiterer wissenschaftlicher Betätigung nach der Habilitation. Entscheidend ist dabei der Fakultäts- oder Fachbereichsrat, der wesentlich durch die Meinung und dem Einfluß des Fachordinarius geprägt wird. Der auszuzeichnende Kollege muß dabei keineswegs der Universität angehören, er muß lediglich an ihr habilitiert sein und an ihr lehren. Letzteres zum Erhalt des Titels auch über die Verleihung hinaus, da der Titel auch wieder entzogen werden kann.

Sieht man sich die Vorlesungsverzeichnisse der Universitäten an, so fallen eine ganze Reihe von Veranstaltungen mit viel versprechenden Titeln auf, bei denen Zeit und Ort sehr vage sind. Machen Sie sich doch einmal den Spaß und fragen im Dekanat, in der zuständigen Klinik oder im zuständigen Institut nach, wo und wann das Seminar, die Vorlesung oder der Kurs eigentlich stattfindet. Sie werden entweder auf ungläubiges Erstaunen ob ihrer Naivität oder auf allgemeines Nichtwissen treffen. Diese Veranstaltungen dienen zur Dokumentation einer Lehrtätigkeit, die nie stattfindet.

Es ist auch praktisch gar nicht möglich, daß der Vorstandsvorsitzende Prof. Dr. Müller-Lüdenscheid, oder der vielbeschäftigte Chefarztkollege im großen nichtuniversitären Krankenhaus nebenbei noch universitäre Lehre betreiben. Löbliche Ausnahmen zieren natürlich den Berufstand. Letztlich geht es nur um den Erhalt des Scheins. Gemäß dem Motto „Wo kein Kläger, da kein Richter“ wird peinlich vermieden dieses zu thematisieren, da selbst an den Universitätskliniken die Lehrdeputate mangels Zeit gar nicht erfüllt werden können. Dazu aber später.

Hat der Habilitand in spe das Glück zahlreiche Publikationen vorweisen zu können und einen ihm wohlgesonnenen Chef als Ordinarius, so kann er eine kumulative Publikation einreichen, bei der er im Wesentlichen eine Zusammenfassung seiner bisherigen Arbeiten vorlegt.

Hat er dieses nicht, so muß er ein größeres Forschungsprojekt beginnen. Der Idealfall für ihn, wäre ein sehr anwendungsorientiertes Projekt, das im Erfolgsfall ein oder mehrere Patente auf Produktentwicklungen als Nebeneffekt der Habilitation verspricht. Dieses ist nur sehr wenigen sehr konsequenten und guten Kollegen vorbehalten. Er könnte sich auch mit intensiver neuer Grundlagenforschung beschäftigen, der Weg ist hier besonders steinig. Letztlich möchte der Kollege ja nichts anderes als effizient in einen sehr überschaubaren Zeitraum ein beliebiges zur Habilitation ausreichendes Projekt abschließen. Gut sind hier technische Neuerungen, neue Verfahren der Bildgebung, neue Analyseverfahren im Labor oder neue experimentelle Modelle, die es erlauben ein bekanntes Problem aus neuer Sicht zu untersuchen. Die Fragestellung ist dabei klar, der Weg absolut feststehend und die Arbeit maximal gut planbar. Übrig bleibt die Organisation der notwendigen finanziellen Mittel (nicht wenige Habilitanden nehmen hier die Familienkasse mit in Anspruch) und die tatsächliche Ausführung der Arbeiten, die in der Regel an Doktoranden vergeben werden. Mit einer Habilitation werden so im Nebeneffekt noch einige Promotionen miterledigt.

Noch idealer ist es, wenn der Instituts- oder Klinikchef eigene wissenschaftliche Projekte verfolgt. Da dieser in der Regel keine Zeit mehr hat sich um die Details der Foschungsorganisation zu kümmern, liefert er die Idee und die finanziellen Ressourcen und steht als Ansprechpartner zur Verfügung. Der Habilitand führt aus, organisiert, delegiert an Medizinisch Technische Assistent(inn)en (MTAs, Idealfall da bestens eingearbeitet) oder Doktoranden und erhält als Belohnung die Habilitationsarbeit. Der Klinik- oder Institutsdirektor im Erfolgsfall das Patent oder zumindest den Ruhm. Daß der Habilitand dabei auf der letzten Seite der Habilitationsschrift die Eigenständigkeit seiner Forschung erklärt und versichert, fällt mangels Abgleich mit den Patentschriften nicht auf.

Trotzdem kann eine solche Hablitationsarbeit, gerade wenn sie etwas anspruchsvoller ist und nicht ausgetretenen und sicheren Pfaden folgt, sehr anstrengend sein. Nur wenige Kollegen haben das große Glück für ihre Forschung freigestellt zu werden. In der Regel bedeutet dies nach der schon sehr anstrengenden Kliniktätigkeit, nach 18, 19, 20 Uhr ins Labor zu gehen und über Monate Versuche vorzubereiten, durchzuführen und auszuwerten. Wochenenden sind gestrichen. So wird ein wesentlicher Teil der deutschen medizinischen Forschung in der Freizeit durchgeführt. Der Klinikdirektor und Chefarzt weiß dies natürlich, hat aber weder die finanzielle Möglichkeiten noch das Personal um Überstunden zu bezahlen oder auszugleichen. Diese dürfen nicht einmal erfasst werden („Das machen sie ja für Ihre Karriere“).

Chefs geben ihren habilitierenden Oberärzten gerne den Rat mit auf dem Weg „Suchen sie sich eine Frau für die Habilitation und kalkulieren sie die Notwendigkeit einer zweiten für danach“. Gestandene Ärzte haben geweint, wenn die Resultate mehrjähriger vielleicht sogar tierexperimenteller Forschung, durch den Ausfall eines Tiefkühlschrankes unbemerkt am Wochenende vor ihrer Auswertung zunichte wurden (man denkt dann immer sofort an die lieben Kollegen). Das Niveau der Arbeiten ist erschreckend oft auf einer eher im Hobbybereich zu vermutenden Ebene als auf solider handwerklicher und wissenschaftlicher Basis. Daneben leidet zudem die Patientenversorgung, wenn die gleichen Kollegen die nachts Tiere für die Forschung operieren mußten, am Folgetag mit zufallenden geröteten Augen wieder im klinischen OP eingesetzt werden. Das Arbeitsschutzgesetz ist hier natürlich machtlos, da die nächtliche Forschungsaktivität nicht in der Zeitabrechnung erscheint.

Daß diese Art der Freizeitforschung zwangsläufig auch nicht an das Niveau einer kontinuierlichen Wissenschaft heranreicht ist völlig klar. Nur würde eine kontinuierliche Verfolgung medizinischer Forschung durch fest angestellte vielleicht sogar selbstständige Wissenschaftler ohne klinische Einbindung in eine Abteilung den Einfluß des Chefarztes und Klinikdirektors auf die Forschung (von der er ja dann vielleicht auch gar nichts mehr versteht) erheblich mindern und kann folgerichtig deshalb nicht angestrebtes Ziel der derzeitigen Ordinarien sein. Eigenständige Forschungsinstitute im klinischen Bereich werden eher geschlossen als neugegründet. Die Habilitation bietet so auf allen Ebenen der Arbeit maximale Einflussmöglichkeiten des Ordinarius und Chefarztes und wird deshalb trotz aller ihrer Nachteile seit mehr als 150 Jahren perpetuiert.

Wurde die Arbeit dann schließlich angenommen, erfolgt sehr oft der Übergang zur Alibilehre und bis auf wenige klinische Arbeiten meist bedeutungsloser Forschung sehr schnell, spätestens mit Abgang von der Universität, Antritt einer nichtuniversitären Chefarztposition oder gar der Niederlassung. Die für den Erwerb der Habilitation eingesetzten Mittel sind dann mangels längerfristiger Perspektive volkswirtschaftlich verschwendet.
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