Endlich: Das große Geld!
Das derzeitige Gehalt eines neuberufenen Ordinarius an einer deutschen Universität entspricht in der W-Besoldung der höchsten Stufe, W3, und damit ca. 65.000,- €/Jahr. Das durchschnittliche Einkommen eines niedergelassenen Arztes liegt bei etwa 100.000 -200.000,- €, Vorstände der Kassenärztlichen Vereinigungen verdienen bis zu 250.000,- €. Weshalb sollte also irgendjemand auf die Idee kommen bis in der Regel mind. Mitte 40 in einen mittelalterlichen System der Abhängigkeit bei schlechter Bezahlung und absolut strapaziöser Ehe und Familie gefährdender Arbeitsbelastung auszuharren, wenn er schon mit Anfang/Mitte 30 in der Niederlassung mit der Behandlung weitaus unkomplizierterer Patienten und kürzerer Arbeitszeiten weitaus mehr Geld verdienen könnte?
Neben dem Prestige nicht nur eines Chefarztes, sondern zusätzlich auch eines Lehrstuhlinhabers des eigenen Faches sind dies natürlich die Nebeneinkünfte die die Position erst interessant machen.
Dies sind typischerweise Beraterverträge der Industrie, Einnahmen aus Gutachten und Vorträgen, Patenterlöse und vor allem in der klinischen Medizin, die Liquidationserlöse. Alleine letztere addieren sich bei vielen derzeit aktiven Kollegen pro Jahr auf mehrere hunderttausend bis Millionen Euro. Das Grundgehalt als solches spielt also eine vergleichsweise unwichtige Rolle. In der Regel erhält der berufene Ordinarius zwei Verträge. Eine Professur auf Lebenszeit über Forschung und Lehre vom zuständigen Landesminister ausgesprochen und einen Vertrag über die Leitung der Klinik mit dem Universitätsklinikum selbst vereinbart. Forschung- und Lehre treten dann allerdings bei einigen Ordinarien doch recht rasch in den Hintergrund, da die Liquidationserlöse, die mit dem Klinikum vereinbart als Nebeneinnahme zu erzielen sind, den Löwenanteil des Gesamteinkommens bestimmen.

Privat versicherte Patienten werden an den Universitätskliniken definitionsgemäß vom liquidationsberechtigten Ärzten der Klinik oder des Institutes behandelt. Dies ist in fast allen Kliniken und Instituten ausschließlich eine einzige Person, der Klinikdirektor. Dieser erhält damit das Recht entsprechend der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) zu liquidieren. Typischerweise erfolgt dies mit einen Steigerungsfaktor von bis zu 3.5, in den machen Fächern auch weniger, bis hinunter zu knapp mehr als 1,0 z.B. für Laborleistungen (macht sowieso die Maschine). Eventuell bestehen zusätzliche Sondervereinbarungen für ausländische Patienten. Dies bedeutet, der Patient erhält nicht nur eine Rechnung des Klinikums sondern eine Privatrechnung der zuständigen Chefärzte.
Wünscht der Privatpatient eine Behandlung nicht durch den Chefarzt, da er z.B. einen spezialisierten Oberarzt für kompetenter hält, verliert er seinen Status als Privatpatient, wird zum so genannten Selbstzahler und wird entsprechend eines normalen Kassenpatienten behandelt. Dies bedeutet unter Umständen den Verlust der Möglichkeit ein Einzelzimmer oder den besonderen Service der Privatstation zu erhalten. Schwierig ist es auch nur Leistungen durch einen bestimmten Chefarzt zu erhalten. Da es vergleichsweise egal ist, ob die Laborwertbestimmung durch den Automaten mit oder ohne Abrechnung über die GOÄ erfolgt, gängige Leistungen wie die Befundung von Standarduntersuchungen der Radiologie oder Narkosen aufgrund der Menge in großen Häusern sowieso nicht exklusiv durch die Chefärzte erfolgen, mag der Wunsch bestehen, nur die Kernleistung der Therapie über die Privatversicherung mit Steigerungsfaktor von einem Chefarzt erbringen zu lassen. Den schieben die Kliniken jedoch einen Riegel vor in dem sie ihren liquidationsberechtigten Chefärzte verbieten solche Einzelrechnungen auszustellen.
Von den erzielten Liquidationserlösen wird ein mehr oder weniger großer Teil an das Haus abgeführt (typischerweise 20-50%). Den Rest erhält der Klinikdirektor. Je nach Bundesland gibt es die gesetzliche Vorschrift unter Umständen einen Teil davon (z.B. 20% vom Nettoerlös) an die Mitarbeiter auszuzahlen. Besteht eine solche Vorschrift nicht (z.B. Nordrhein-Westfalen), kann der Klinikdirektor nach eigener Entscheidung verfahren.
Fakt ist nun, daß gerade leistungsintensive Fächer wie die Anästhesie, die Radiologie oder die Labormedizin es gar nicht erlauben alle Privatpatienten durch dem Chefarzt zu behandeln. In diesen Fällen erfolgt die Behandlung laut Vertrag von vertretungsberechtigten Oberärzten, in der Realität von wem auch immer bis hin zum Studenten. Gerade nicht operativ oder im direkten Patientenkontakt tätigen Chefärzten eröffnet sich die Möglichkeit Einkommen in erheblichem Umfang ohne eigene Leistung zu erwerben. Wird die damit und durch delegative Klinikorganisation gewonnene Freizeit in außerklinische Bereiche wie Tätigkeiten in der Fakultät oder im Klinikdirektorium investiert, kann die Fakultät und die eigene Klinik davon profitieren muß es aber nicht.
Auch in den operativen Fächern weißt der aufgestellte OP-Plan häufig eine unmögliche Mehrfacherscheinung des Chefarztes auf viele Positionen auf. Unter der formalen Argumentation ja stets nur den wichtigsten und schwierigsten Teil des Eingriffes zu vollbringen wird dies toleriert, aber natürlich sind die nachgeordneten Mitarbeiter, in der Regel die Oberärzte, nicht davon begeistert de facto die Arbeit zu leisten, aber finanziell nicht davon zu profitieren. Hinzunehmen ist auch, daß im Erfolgsfall die Dankbarkeit der Patienten und das damit erzielte ärztliche Ansehen auf die falsche Person projiziert werden. Im Nichterfolgsfall wird dann manchmal schon ein Patient aufgeklärt, wer eigentlich die Intervention vollzogen hatte. Nur die feudale auf Abhängigkeit zielende Grundstruktur des Gesamtsystems ist in der Lage, die Situation seit dem 19. Jahrhundert stabil zu erhalten.
Existiert die Notwendigkeit einer Mitarbeiterbeteiligung ist es interessant zu sehen, wie diese erfolgt. Es gibt Kliniken mit vollständig transparenten Systemen aber auch in vielen Fällen eine Verteilung nach Gutsherrenart durch den Liquidationsberechtigten. Da gerade in letzter Zeit die Gehälter der Oberärzte durch die Reduktion der bezahlbaren Überstunden und dem Wegfall von Zusatzleistungen erheblich gesunken sind, sind diese aber auf eine Alimentation durch Liquidationsgelder angewiesen. Zumeist betragen diese nur einige hundert Euro/Monat sind damit jedoch ein wichtiger Machtfaktor für den Klinikchef. In der Regel findet keine Kontrolle einer Auszahlung statt. Der Manipulation, wie auch klinikinternen Streitigkeiten wird damit wesentlicher Vorschub geleistet.
Privatpatienten kann man nur den Rat geben, sich genau zu überlegen, wer tatsächlich die Diagnostik und Therapie erbringt. Ist dies im Fall eines delegativen Systems stets der Beste, ist die Leistung sicher gut investiert. Schön wäre es aber auch dann zu wissen, wer es eigentlich war. Gefährlich wird es dann, wenn Chefärzte in jeden Fall, auch wenn ihnen dafür die Kompetenz fehlt, trotzdem keinen Privatpatienten an nachgeordnete Oberärzte verweisen.
Insgesamt ist das System sehr unbefriedigend, da es den eigentlichen Leistungserbringer häufig nicht belohnt, aber auch die Liquidationserlöse der neu bestellten Chefärzte erheblich gesunken sind. So fehlt den Ärzten der Mittelschicht, die ja weitestgehend die Patientenversorgung, die Forschung und die Lehre an den Universitätskliniken betreiben ein relevantes Isteinkommen aber auch die Hoffung auf eine Kompensation durch ein hohes zukünftiges Einkommen. Die Karotte, die dem Esel vor die Nase gehalten nach vorne treibt, wird nicht nur zusehends trockener sondern die täglichen Heurationen auch immer dürftiger.
Durch die 2007 erfolgte Anpassung der Arztgehälter wurden insbesondere jüngere Kollegen zu Recht besser bezahlt. An den Universitäten gibt es jedoch einen erheblichen Anteil von beamteten Ärzten, meist auf Zeit, im mittleren Führungsbereich der Oberärzte, wie auch der nichtoberärztlich tätigen Fachärzte. An diesen ging nicht nur die Erhöhung der Tarifgehälter vollständig vorbei, sie müssen aufgrund der durch die Erhöhung notwendig gewordenen Personaleinsparung auch noch mehr arbeiten. Der Versuch einer Anpassung der Gehälter der ärztlich tätigen Beamten ist zum Scheitern verurteilt, da zu Recht nicht nachzuweisen ist, wieso ein beamteter Wissenschaftler in der klinischen Medizin besser bezahlt werden sollte als ein solcher in der theoretischen Medizin wie der Anatomie oder gar in anderen Fachbereichen. Dieser Anspruch gründet sich ausschließlich auf die Patientenversorgung und muß damit mittelbar über das Universitätsklinikum als solches getragen werden. Die im Grunde genommen beste Möglichkeit wäre die Auflösung der bisherigen stark pyramidalen Führungsstrukturen durch die Bildung von Departments unterschiedlicher Spezialitäten, die jeweils von liquidationsberechtigten Spezialisten geführt würden und die in entsprechender sinnvoller Weise in Kliniken zusammengefaßt wären. Dies würde nicht nur der mittlerweile etablierten und notwendigen Spezialisierung in den großen Fächern Rechnung tragen sondern bereits zu einen früheren Zeitpunkt langfristig Spezialisten in den Kliniken binden, die bei akzeptablen Einkommen auch international konkurrenzfähig sein könnten. Natürlich würde die Spitzenposition des Chefarztes damit wegfallen und durch einen geschäftsführenden Arzt ersetzt werden. Dies trägt aber ebenfalls dem Rechnung, daß grundlegende Verwaltungs- und Personalführungstätigkeiten in den Kliniken schon derzeit mangels Zeit nicht durch die Chefärzte erfolgen. Der damit induzierte Wegfall der Spitzengehälter der bisherigen Klinikdirektoren wird aber wohl die notwendige Reform noch wesentlich verzögern. Kompensatorisch muß seitens der Verwaltungen über eine Neustrukturierung der Abgabephilosophie nachgedacht werden, insbesondere wenn zukünftig durch die Umstrukturierung unseres Gesundheitssystems der Anteil der mit höherem Steigerungsfaktor liquidierbaren Privatpatienten signifikant fallen wird. Letztlich kann dies dazu führen, daß nur noch private Kliniken, die, nicht an einer Limitierung der Steigerungsfaktoren in der GOÄ gebunden, attraktive Positionen für hochkompetente Ärzte anbieten können, während die öffentlichen Universitätskliniken aufgrund mittelalterlicher Strukturen, schlechter baulicher Ausstattung bei nachlassender investiver Tätigkeit der Länder und unzureichender finanzieller Kompensation zwar nach wie vor die schwierigsten Patienten, aber bei weiten nicht mehr die kompetentesten Ärzte und Wissenschaftler erhalten werden. Bereits jetzt sind erfahrene Ärzte sowohl auf Assistenten wie auf Oberarztebene gerade an den Universitäten nur schwer zu halten. Das hierarchische Klima, die schlechte Bezahlung und die zeitliche Überforderung führen letztlich dazu, daß gerade dort, wo die besten Ärzte gebraucht werden würden, nur die andernorts chancenlosen verbleiben.
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