Universitäre Lehre
In der Dreieinigkeit von Klinik, Forschung und Lehre nimmt letztere nicht nur in der typischen Aufzählung den letzten Platz ein. Sicher gibt es außerordentlich begabte und begeisterte Lehrer unter den berufenen Ordinarien, aber betrachtet man die zeitliche Verteilung der Lehre, wird klar, daß die wesentliche Lehrleistung durch nachgeordnetes Personal erbracht wird. In der Medizin gab es traditionell ein Überwiegen großer Hauptvorlesungen mit oft mehreren Hundert Teilnehmern. Schon seit vielen Jahren werden diese jedoch in zunehmenden Maße durch Kleingruppenunterricht als Kurse, Praktika, Tutorien oder Seminaren abgelöst. Diese Lernformen haben sich als effektiver in der Stoffvermittlung erwiesen. Für die Studenten hat damit die Anzahl der Pflichtstunden erheblich zugenommen. Ganze Lebensplanungen aufbauend auf die Möglichkeit neben dem Studium zu arbeiten oder Kinder zu betreuen wurden umgestoßen. Die zunehmende Konkurrenz der Fakultäten auf Ranglisten der besten Lehre führt zudem zur verstärkten Anstrengung effektive Lehrveranstaltungen zu etablieren. Die Einführung von Semestergebühren bewirkt als positiven Effekt auch eine zunehmende Anspruchshaltung der Studenten auf guten Unterricht. Auf Seiten der ärztlichen Mitarbeiter ist diese Entwicklung jedoch mit wenig Begeisterung aufgenommen worden. Typischerweise entscheidet sich ein junger Assistenzarzt nicht für eine Position an einer Universitätsklinik um die studentische Lehre zu suchen, sondern er nimmt sie als unumgänglich in Kauf. Die Mehrzahl der Ärzte ist weder in der Lehre geschult noch findet eine systematische Schulung in der Masse der an der Lehre beteiligten Ärzte statt. Da durch eine gute Lehre im Unterschied zum bloßen Nachweis einer solchen auch keinerlei Karrierevorteile zu erzielen sind, werden die beiden anderen Notwendigkeiten des universitären Alltags, die Patientenversorgung und die Forschung wesentlich wichtiger genommen. Fehler in der Patientenversorgung werden sofort bestraft, fehlende Forschungsaktivität nachgewiesen in einer schwachen Publikationsliste führt langfristig zu Karrierenachteilen. Der zunehmende Druck die Zahl der Lehrveranstaltungen auszudehnen ohne andererseits die Belastung vor allem durch die Patientenversorgung zu reduzieren läßt manche Kollegen die Lehre nur noch als möglichst effizient zu erledigende Mehrarbeit erleben. Auf Seiten der Lehrstuhlinhaber ist der Ruf der Klinik oder des Institutes mit der Forschungsleistung, das persönliche Einkommen mit der (Privat-)Patientenversorgung verbunden. Die Motivation die Lehrleistung zu intensivieren findet zwar z.B. durch Evaluationen oder durch die Berücksichtigung der Lehrleistung in der leistungsorientierten Mittelvergabe von Forschungs- und Lehrezuweisungen statt, der persönliche Zeiteinsatz ist jedoch limitiert. Die wenigsten Ordinarien beteiligen sich an Veranstaltungen mit begrenzter Teilnehmerzahl. Obwohl offiziell eine Lehrleistung von mehreren Stunden/Woche gefordert wird, erbringen viele Ordinarien de facto nur einen Teil dieser Zeit im gesamten Semester. Lieblos abgelesene verblasste Dias sind legendär und glücklicherweise durch Powerpoint-Präsentationen heutzutage zumindest technisch besser. Die Organisation der Lehre wird ebenso wie ihre Durchführung delegiert. Mit Glück gelingt es begeisterte Lehrer für begrenzte Zeit in verantwortlichen Positionen innerhalb der Organisation und Durchführung zu halten, für diese besteht jedoch keinerlei darauf aufbauende Karriereperspektive. Ganz im Gegenteil ziehen karrieretechnisch an ihnen jene Kollegen vorbei, die sich lieber in der Patientenversorgung schulen oder ihre Zeit in Forschungsleistung investieren. Etliche Hunderttausend Euro eingeworbener Drittmittel sind in der Bewerbung um eine universitäre Spitzenposition um Zehnerpotenzen wichtiger als eine über Jahre nachgewiesene Lehre an einer großen Klinik. Dies entspricht ja auch der gelebten Realität der späteren Zeit- und Verantwortungsteilung der Lehrstuhlinhaber. Aus Gründen der Legitimation wird allerdings an der Verantwortung auch der Lehre durch die Ordinarien festgehalten, da sich deren Position, wie schon der Begriff des „Lehrstuhlinhabers“ dokumentiert, im Wesentlichen darauf gründet. Die Dreieinigkeit von Klinik, Forschung und Lehre wird nach außen mit den Zähnen verteidigt um sie nach Innen zu filetieren und zu delegieren.

Ein Großteil der medizinischen Hochschulausbildung wäre mit „Medical schools“ nach angloamerikanischem Vorbild viel besser und mitteleffizienter zu erbringen. Da aber auch die Kliniken selbst vom Zuführungsbetrag für Forschung und Lehre stark profitieren entsteht keinerlei Anreiz eine solche Professionalisierung der Ausbildung zuzulassen. Wenn andererseits aber auch keine verantwortlichen Positionen in und für die Lehre geschaffen werden, wird diese nach wie vor von der Mehrheit des Personals als unangenehme Aufgabe betrachtet und jene hier engagierten Kollegen langfristig frustriert.

Interessant ist in diesem Zusammenhang einmal ein Vorlesungsverzeichnis einer typischen Medizinischen Fakultät zu betrachten. Neben einigen Pflichtveranstaltungen findet sich um einiges stärker ein Verzeichnis anderer, nützlicher, aber nicht verpflichtender Lehrangebot oft sehr allgemeiner oder ausgesprochen spezieller Betitelung. In vielen Fällen fehlt auch die Angabe konkreter Zeiten und Orte der Veranstaltung. Diese dienen lediglich zum formalen Nachweis einer Lehre die nie erbracht wurde. Ziel ist der Erhalt der Bezeichnung „Privatdozent“, die Erlangung oder die Erhaltung des Titels „Außerplanmäßiger Professor“ wobei das apl. zumeist dezent weggelassen wird. Typischerweise einige Jahre nach erfolgter Habilitation besteht damit die Möglichkeit einen Professorentitel der jeweiligen Universität durch Nachweis von Forschung und Lehre zu erhalten. In den meist sehr formalen Verfahren sind die manipulativen Eingriffe trotz detaillierter Kriterien hoch. Die Universität gewinnt damit einen ehrenamtlichen Hochschullehrer, der betreffende Kollege einen schönen Titel der sich gerade in der Patientenversorgung auch finanziell nutzbringend einsetzen läßt. Die damit verbundene Lehrleistung wird in vielen Fällen schamlos vermieden und findet nur auf dem Papier statt. Es gibt eine Reihe sehr engagierter nicht der Universität direkt zugeordneter Hochschullehrer die sich aktiv am Unterricht oder Prüfungen beteiligen, ein erheblicher Anteil der Deutschen Medizinprofessoren dürfte seinen Titel jedoch zu Unrecht tragen.

Eng damit verbunden ist der Titel des „Lehrkrankenhauses“. Hierzu ernennt der Fachbereich nicht-universitäre Krankenhäuser die sich aktiv an der Lehre beteiligen. Der Titel ist ehrenvoll, dokumentiert einen offensichtlich guten Standard der Patientenversorgung und erlaubt zudem den beteiligten Chefärzten den vereinfachten Nachweis ihrer Lehrtätigkeit für eine apl. Professur. Die Lehre selbst kann z.B. in Form von Blockpraktika erfolgen, bei denen die Studenten über eine gewisse Zeit, z.B. ein bis zwei Wochen, intensiv in einem bestimmten Fach unterrichtet werden. Es gibt Universitätskliniken die auch nur so in der Lage sind die komplette Breite der medizinischen Lehre anzubieten. In der Regel wird sich die Beteiligung an der studentischen Lehre jedoch vor allem in der Beschäftigung so genannter Studenten im Praktischen Jahr beschränken.

Das letzte Jahr des Medizinstudiums dient der praktischen Ausbildung und gliedert sich vereinfacht in 4 Monate Innere Medizin, 4 Monate Chirurgie und 4 Monate eines wählbaren Faches. Die Studenten werden dabei in der Regel identisch wie ein junger Assistenzarzt für klassische ärztliche Routinetätigkeiten eingesetzt. Noch nicht einmal in allen Fällen erfolgt eine strukturierte Ausbildung. Die beteiligten Lehrkrankenhäuser, wie auch die Universitätskliniken erhalten hierfür finanzielle Mittel, die Studenten gehen in der Regel ohne jegliche Bezahlung nach Hause. In einigen Häusern sind sie sogar von der subventionierten Kantinenversorgung ausgeschlossen, da sie ja keine Mitarbeiter des Hauses sind. Kluge private Lehrkrankenhäuser gewähren den Studenten einen signifikanten Praktikumslohn von einigen hundert Euro, und erhalten sich so wichtige, vielerorts geradezu unverzichtbare Mitarbeiter ohne die die Patientenversorgung wesentlich erschwert werden würde.

Insgesamt bedarf die Lehre der Universitätskliniken nicht nur einer Umstrukturierung sondern einer wirklichen Reform. Viele alte Zöpfe müssen abgeschnitten werden, über den Sinn einer personellen Einheit von Patientenversorgung, Forschung und Lehre muß mehr als nur diskutiert werden. Die Probleme sind allen Beteiligten, auch den Politikern bewusst. Ihre Lösung erfordert jedoch den Prestigeverzicht vieler Ordinarien auf die tatsächliche Lehrverantwortung. Da die Entscheidungsgremien der Fakultäten jedoch von den Ordinarien bestimmt sind, und der Status quo nicht hinterfragt, die persönliche Lehrleistung nicht überprüft wird, wird sich realistisch nichts ändern, was weder den Studenten, noch den tatsächlich die Lehre erbringenden Ärzten gerecht wird.
   Kommentieren